
Zwischen den Nationalpark Neusiedler See und die Weingärten der Herkunftsregion Neusiedlersee DAC passt kein Blatt. Und das ist nicht bloß geografisch gemeint: Beide Welten haben auf überraschende Weise gelernt, voneinander zu profitieren. Nationalparkdirektor Johannes Ehrenfeldner und Neusiedlersee DAC-Obmann Christoph Salzl im nachbarschaftlichen Gespräch über Flora & Fauna, Seeroir & Salzlacken und die Seele einer ganz außergewöhnlichen Region.
Kürzlich ist der Nationalpark Neusiedler See größer geworden – um 150 Hektar sogar. Und das teilweise auf Kosten von alten Weingärten. Was sagen denn die Winzer:innen dazu?
CHRISTOPH SALZL: Grundsätzlich arbeiten Winzer:innen und Nationalpark sehr gut miteinander, und diese Entwicklung steht in der Tat als bestes Beispiel genau dafür. Wenn ich an die 70er-Jahre zurückdenke, hatte Illmitz damals eine Rebfläche von 1.800 Hektar. Heute stehen wir bei Rebflächen von nicht einmal 900 Hektar, haben uns also halbiert, wurden teilweise in den Nationalpark integriert. Dadurch haben sich die Weinbauflächen auf bestimmte Rieden konzentriert. Das ist aus zwei Gründen zu begrüßen: Fokus ist gut für die Qualität. Und brachliegende oder gerodete Rebflächen sind viel besser im Nationalpark aufgehoben, gerade wenn sie in unmittelbarer Nähe zu den Lacken sind. Diese gehören schließlich besonders geschützt.
Was hat es mit diesen gerade rund um das Thema Weinbau so oft zitierten Lacken des Neusiedler Sees auf sich?
JOHANNES EHRENFELDNER: Hierbei handelt es sich um ein sehr, sehr komplexes Ökosystem, das man erst langsam verstehen lernt. Generell kann man sagen, dass zwischen dem Ostufer des Neusiedlersees und dem Hanság rund 45 Lacken liegen, die für eine ein zigartige Fauna und Flora sorgen. Die Lacken des zentralen Seewinkels sind wesentlich älter als der See selbst. Nach einer anerkannten Theorie des Salzburger Geografen Helmut Riedl bildeten sich während der Würm-Eiszeit vor rund 115.000 bis 10.000 Jahren große Eislinsen, sogenannte Pingos, die eine Schotterablagerung durch die Donau verhinderten. Nach dem Abschmelzen dieser Eislinsen blieben seichte Mulden, die sich mit Wasser füllten. Und mit diesen Wasser- und Geschiebemassen ist auch dann das Salz mitgekommen. Diese Salze sind dafür verantwortlich, dass der Lackenboden heute dicht ist. Die Lacken sind tatsächlich großteils nur von Oberflächenwasser gespeist. Sie sind aber nur überlebensfähig, wenn der Kontakt mit dem Grundwasser vorhanden ist. Bei ausreichend hohem Grundwasserspiegel werden durch die Kapillarwirkung Salze vom Lackenboden und dem Untergrund nach oben gedrückt.
Aber welchen Einfluss haben diese Sodalacken nun auf den Weinbau im Neusiedlersee DAC-Gebiet?
CHRISTOPH SALZL: Sie sind im Grunde ein Puzzleteil davon, dass wir hier in der Herkunftsregion Neusiedlersee DAC nicht bloß von Terroir sprechen, sondern zusätzlich von Seeroir. Um das zu erklären, muss ich kurz aus holen: Am See kommen die Unwetter meist vom Nordwesten. Und wenn dann im Sommer die Lacken durch die Hitze austrocknen und ihr Salz an der Oberfläche abgelagert wird, verteilen diese Nordwestwinde genau dieses Salz in der umliegenden Landschaft. Daraus ergibt sich eine derartig einmalige Salzkonzentration in den Weingärten. So entsteht die unverwechselbare salzig-mineralische Note, die den Weinen unserer Herkunft einen Teil ihrer Einzigartigkeit verleiht. Der finale Ausdruck in den Weinen ist naturgemäß abhängig von der Nähe der Weingärten zu Lacken und See. Dank der Permanentwinde ist er aber doch gesamtheitlich Ausdruck unserer Herkunft, ganz gleich bei Weiß-, Rose, Rot- oder Süßweinen.
JOHANNES EHRENFELDNER: Hinzu kommt, dass die Sodalacken auf das Mikroklima der Umgebung massive Auswirkungen haben. Ihr Wasser nimmt am Tag die Wärme auf und gibt sie dann in der Nacht paketweise und somit dosiert wieder ab. Sie wirken als zusätzliche kleine Wärmespeicher abseits des Seeufers und sorgen dafür, dass das viel ausgeglichener ist. Eine Tatsache, die auf die Reifung vor allem im Herbst und Spätsommer einen maßgeblichen Einfluss hat, speziell in der Nacht.
CHRISTOPH SALZL: Sie helfen dabei, die Extreme zu minimieren. Das ist gerade in Jahren wie heuer relevant: Während andere mit Spätfrost zu kämpfen hatten, waren unsere Lacken mit verhältnismäßig warmem Wasser gefüllt. Allein durch ebendiesen Effekt, dass in den kalten Nächten noch Speicher vorhanden waren, die ihre Wärme an die Umgebungsluft abgeben konnten, wurden unsere Weingärten geschützt. Schließlich geht es bei solchen Temperaturen um Nuancen, die über das Absterben und überleben der Blüte entscheiden.

Das Zusammenspiel zwischen Naturschutzgebiet und Winzer:innen ist relevant – wie profitiert ihr abseits von Salz und Lacken voneinander?
JOHANNES EHRENFELDNER: Eines gleich vorweg: Mir ist jeder Quadratmeter Weingarten lieber als ein Quadratmeter konventioneller Ackerbau, der speziell in dieser Gegend wahnsinnig viel Wasser zum Beregnen braucht. Da blutet mir immer das Herz, wenn ich durch den Seewinkel fahre und es wird wieder ein Weingarten gerodet. Mein Wunsch wäre, dass alle Weingärten erhalten blieben. Für mich ist das Mosaik aus Naturflächen, die eigentlich aus einer Jahrtausende alten Kulturlandschaft buchstäblich erwachsen sind, und den Weingartenflächen das Schönste. Ein Mosaik, das für das Zusammenwirken von beiden Welten steht.
CHRISTOPH SALZL: Wir Winzer:innen definieren uns hier in der Region als offene Winzer:innen, die gerne einladen, sehr besucherfreundlich sind. Und wenn dann Besucher:innen zu uns kommen oder die Fachpresse, Importeur:innen oder Sommeliers auf diversen Fachreisen binden wir natürlich alles mit ein, was diese schöne Gegend zu bieten hat. Seien es Kutschenfahrten oder dass wir mit einem Ranger raus in den Nationalpark gehen und die Lacken besuchen, um sie zu erklären. Der Nationalpark, der See und wir Winzer:innen bilden miteinander eine schöne Symbiose, ein harmonisches Miteinander. Man kann sehr deutlich sagen, dass der eine ohne die andere nicht kann. Daher ist Seeroir weit mehr als bloß der Einfluss des Neusiedlersees und der Lacken auf unsere Weine.


Wie meinst du das konkret?
CHRISTOPH SALZL: Für mich steht das Seeroir zusätzlich für das Gemeinsame und die Gastfreundschaft, die Kultur und Tradition, die wir hier pflegen. Für das Lebensgefühl. Für uns sind der See und die Lacken nicht bloß Gegebenheiten, die schön aus sehen, die UNESCO-Weltkulturerbe sind und die Touristinnen anziehen. Wir brauchen diese natürlichen Geschenke, wir brauchen deren Einflüsse, um unser Leben und unser Lebensgefühl erhalten zu können. Seeroir ist für mich sozusagen die Seele unserer Region.
JOHANNES EHRENFELDNER: Das sehe ich als Schutzgebietsmanager ganz ähnlich, bloß von der anderen Seite betrachtet: Anders als bei anderen Schutzgebieten, die inselartig in der Landschaft angesiedelt sind – wie das Gesäuse zum Beispiel -, bilden bei uns die Menschen, die hier leben, die Seele des Schutzgebiets. Für mich kann unsere Arbeit im Nationalpark somit nur erfolgreich sein, wenn die Bevölkerung das Schutzgebiet aktiv mitträgt. Und das gelingt hier auf beeindruckende Art und Weise.
