Wie kommt es, dass ausgerechnet ein Asket zum Schutzpatron der burgenländischen Winzer*innen wurde? Und weshalb feiern wir ihn ausgerechnet im November? Eine Zeitreise in biblische Welten, zu pragmatischen Weinbauern, in königliche Träumereien und den heutigen DAC-Gedanken der Herkunftsweinregion Neusiedlersee.
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Für kirchliche Verhältnisse ist diese Zahl ausgesprochen aktuell: Das offizielle Heiligenverzeichnis, das Martyrologium Romanum, listet penibel 6.650 Heilige und Selige auf. Des Weiteren sind darin 7.400 Märtyrer und Märtyrerinnen verzeichnet. Diese Zahl wurde im Jahr 2004 als „aktualisiert“ veröffentlicht – der Vatikan hatte sich dazu veranlasst gefühlt, in seiner eigenen Vergangenheit nachzuzählen. Über die genaue Vorgehensweise ist dabei wenig bekannt. Eines aber war vorher schon klar und hat sich bloß bestätigt: Der Heilige mit den vermutlich meisten Jobs ist – der Heilige Martin.
Tatsächlich ist wohl kein anderer für so viele unterschiedliche Lebensbereiche verantwortlich wie Martin von Tours, der Reitersoldat, der im vierten Jahrhundert nach Christus als freigiebiger Reitersoldat berühmt wurde. Bis heute wird er meist als großzügiger Soldat abgebildet, der seinen Umhang mit einem Bettler teilt. Somit ist zumindest offensichtlich, warum der Heilige Martin für die Armen als Patron gilt. Seine anderen sogenannten Patronate wirken allerdings eher wie eine wahllose Ansammlung an Titeln.
Martin von Tours, der Reitersoldat, der im vierten Jahrhundert nach Christus als freigiebiger Reitersoldat berühmt wurde. Bis heute wird er meist als großzügiger Soldat abgebildet, der seinen Umhang mit einem Bettler teilt.
Rekordhalter unter den Patronen
Er ist der Patron der Soldaten, Kavalleristen und Reiter, Polizisten, Huf- und Waffenschmiede, Weber, Gerber, Schneider, Gürtel-, Handschuh- und Hutmacher, Tuchhändler, Ausrufer, Hoteliers und Gastwirte, Kaufleute, Bettler, Bürstenbinder, Hirten, Böttcher, Müller, der Reisenden, Armen, Flüchtlinge und Gefangenen. Richtig kurios wird die Sache aber vor allem im Spannungsfeld zwischen Genuss und Selbstkasteiung: Der zu Lebzeiten als Asket bekannte Martinus ist sowohl Schutzherr aller Abstinenzler – als auch der Winzer!
Man kann also getrost behaupten: Der Heilige Martin hat richtig viel um die Ohren. Zumindest in seinem internationalen „Arbeitsbereich“. Denn im Burgenland hat der Heilige Martin verhältnismäßig leichtes Spiel: Hier ist er seit jeher für die Weinbauern zuständig. Ein klerikales Aufgabengebiet, das übrigens bei genauerer Betrachtung seinem Leben viel gerechter wird als die meisten anderen Zuschreibungen. Denn: Der Heilige Martin galt schon zu seinen Lebzeiten als ausgesprochen volksnah. So wurde er 371 auch nicht etwa vom Klerus, sondern vom Volk zum Bischof von Tours in Frankreich ausgerufen. Man kann sich vorstellen, wie sehr das der Kirche geschmeckt hat …
Streithansel mit Sympathien
In dem Dauerstreit, den der Heilige Martin mit der Kirche führte, ist somit auch seine Popularität begründet. Die Bauern liebten einen, der den Hochwohlgeborenen widersprach. Hinzu kommt mit dem 11. November der schließlich wiederum von der Kirche festgelegte Gedenktag. Die Winzer rund um den Neusiedlersee haben das früh erkannt und sich kurzerhand den sympathischen Heiligen geangelt, um als Patron für den eigenen Wein zu stehen. Sie ließen die Geschichte erstehen, wonach in der Nacht des 11. November Wasser und Most zu Wein, der Sturm zum Heurigen und der Heurige zum Alten würde. Erst ab Martini darf man damit anstoßen und „Prost“ sagen, hieß es bald.
Der langjährige Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde, Leopold Schmidt, verweist in seinen Niederschriften gar ganz bewusst auf die Gebräuche zu den herbstlichen Heiligenfesten in der Region des heutigen Neusiedlersee DAC. Er schreibt: „Darüber hinaus haben die Bauern daran Anteil genommen, und bei ihnen sind wesentliche Züge später noch bewahrt worden. Dazu gehört der festliche Trunk, das „Martiniloben“, das als Erinnerung an eine alte Martinsminne angesprochen werden darf.“
Ein königlicher Traum
Damit deutet der 1981 verstorbene Volkskundler in seiner wissenschaftlichen Arbeit die wahrscheinlichste Herkunft des im Gebiet des Neusiedlersee DAC heute besonders beliebten Martinilobens als Volksfest an. Er spricht von der „Martinsminne“. Ein Begriff, der aus Deutschland stammt, wie der der katholische Theologe und Brauchtumsexperte Dr. Manfred Becker-Huberti erklärt: „In Köln wurde am Martinsabend der erste neue Wein getrunken“, sagt er. „Diesen Brauch nannte man „Martinsminne“. Er knüpft an eine Legende an: Martin soll dem schwedischen König Olaf Tryggvason im Traum erschienen sein und von ihm gefordert haben, er solle nicht mehr den Gott Odin durch Trankopfer ehren, sondern die Martinsminne statt der Odinsminne einführen.“
Martiniloben als Wiedergeburt für Tradition und Wegbereiter für Herkunftstypizität
Dass wir uns aber gerade im Burgenland an diesem royalen Traum bis heute erfreuen dürfen, liegt unter anderem daran, dass sich das Burgenland den Heiligen Martin gar als Landesheiligen auserkoren hat. Er ist somit in doppelter Hinsicht für die Winzer des Neusiedlersee DAC und Umgebung verantwortlich. Aber auch ein findiger Burgenländer hat hierbei seine Finger im Spiel: Sepp Sailer war es – gemeinsam mit dem Golser Winzer Paul Wendelin, der am 11.11.1987 den alten Brauch in das Heute übersetze und erstmals wieder ein großes Martiniloben veranstaltete.
Das Wiederaufleben dieses Brauchtums sorgte im Zusammenspiel mit dem unsichtbaren Motivator Martin jedenfalls für weit mehr, als bloßes Traditions-Treiben. Durch das wieder entflammte Interesse wurde den Winzern der Gegend ihre eigene Region wieder bewusster. Themen wie Regionstypizität der einzelnen Rebsorten und auch die Qualitätssteigerung und -sicherung der gekelterten Weine geriet von Jahr zu Jahr stärker in den Vordergrund. Und auch die Suche der zahlreichen Besucher*innen nach heimischen Spezialitäten und Rebsorten sorgten rückblickend betrachtet für die ersten Grundsteine des heute nicht nur regional so erfolgreichen Neusiedlersee DAC-Projekts“, sind sich Sepp Sailer und Paul Wendelin unisono sicher.
Und dass man heute beim Rotwein die Rebsorte Zweigelt sowie die Süßweine als besonders herkunftstypische Neusiedlersee DAC Weine auserkoren hat, ist auch für die Beiden nur mehr als logisch. „Der Zweigelt ist nicht nur österreichweit, sondern auch hier bei uns im Weinbaugebiet Neusiedlersee tonangebend. Und unsere Süßweine zählen schon seit Jahrzehnten mit zu den Besten – weltweit übrigens“, merken beide nicht ohne Stolz an.
Jedenfalls ist dank Winzern, Martiniloben und dem Neusiedlersee DAC-Projekt spätestens heute klar: Die Volksnähe des Heiligen Martin ist und bleibt ungebrochen. Schließlich sind es inzwischen mehr als 50.000 Besucher*innen, die in diesen Herbstwochen die Weinkeller rund um den See aufsuchen, um die Weine – allen voran jene mit der Herkunfts- und Qualitätsbezeichnung Neusiedlersee DAC – und andere regionale Spezialitäten zu verkosten. 50.000 Begeisterte, die es genießen, dass die Winzer des Neusiedler Sees mit ihnen ihre Kostbarkeiten teilen. Und somit hat die Sache dann doch wieder etwas mit der Großzügigkeit des Heiligen Martin zu tun: mit der Idee, dass man das, was man selbst mag, auch mit anderen teilt. Und bei den Neusiedlersee DAC-Weinen sind das nicht zuletzt Qualität und Typizität.
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Neusiedlersee DAC.
Einzigartiger Zweigelt. Einzigartige Süßweine.
Von der Sonnenseite Österreichs. Zur Gaumenfreude aller.
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